Von Elisabeth Hellenbroich
„Versailles. Ein Friede, der keinen Frieden brachte“, lautete der Titel einer Veranstaltung der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS Mainz). Das Politische Bildungsforum Rheinland Pfalz der KAS hatte anlässlich des 100. Jahrestages nach Mainz eingeladen, um gemeinsam mit Vertretern aus Frankreich und Deutschland auf dem Podium und Gästen im Plenum über die Frage nachzudenken, wie es gelingen kann, eine stabile Ordnung im heutigen Europa und in der Welt zu schaffen. Impulsvorträge von Professor Michael Stürmer (Historiker und Kolumnist) und Professor Henri Ménudier (Politikwissenschaftler und Deutschlandexperte, Sorbonne) warfen ein Schlaglicht auf die Geschichte des Versailler Vertrags. Die Referenten Richard Stock und Dr. Juliette Roy gaben ein eindrucksvolles Bild über Initiativen, welche von Frankreich und Deutschland zur Würdigung der Opfer des Ersten Weltkriegs und Aussöhnung beigetragen haben. Dazu zählten auch viele intensive Begegnungen zwischen Jugendlichen aus Frankreich und Deutschland.
Die Diskussion mit dem Plenum machte deutlich, dass es bei der Frage nach dem Vermächtnis des Versailler Friedensvertrags heute, angesichts der Auflösung der „Pax Americana“ (als Garant einer stabilen globalen Ordnung) es dringend nötig ist, eine neue Ordnung auf der Grundlage einer gut funktionierenden deutsch- französische Zusammenarbeit zu schaffen. Dazu gehört auch ein Neuansatz im strategischen Dialogs mit Russland, das bei der Suche nach Friedenslösungen im Nahen Osten und anderen Konfliktzonen der Welt in der Zukunft eine unverzichtbare Rolle spielt.
Die Friedensbotschaft von Fiquelmont- Baustein für die Schaffung eines vereinten Europa
In einer Rede mit vielen Dokumentationen (DokuLive)– einer Koproduktion zwischen KAS und dem Centre Européen Robert Schuman- sprach der Diplompolitologe Ingo Espenschied über den historisch bedeutsamen Fund, der 1981 auf dem Dachboden der Scheune des Bauern Boulanger gemacht wurde. Damals fand man in einer Schnapsflasche eine von 6 deutschen Husaren hinterlassene Flaschenpost, in der diese eine Friedensbotschaft an die kommenden Generationen hinterließen. Die deutschen Soldaten in der Nähe von Verdun konnten damals „hautnah Nationalismus, Militarismus und das Gemetzel auf den Schlachtfeldern miterleben und mussten ohnmächtig mitansehen, wie der gesamte europäische Kontinent aus eigenem Verschulden in den Abgrund stürzte. Sie richteten, wie man einer Broschüre des CERS entnehmen kann, unter dem Titel „Friedensbotschaft von Fiquelmont – Wir sind Brüder. Für ein vereinigtes Europa und die Freundschaft zwischen den Völkern“ einen dramatischen Appell an die kommenden Generationen. In seiner DokuLive zitiert Ingo Espenschied aus der Flaschenpost der 6 deutschen Gefangenen von Fiquelmont, die darin beschrieben, dass sie von Fiquelmont aus vom Juli 1915 bis August 1915 in die Schützengräben vor Hennemont am Renneselle-Flüsschen entlang marschiert seien. Später hätten sie dann Äcker und Wiesen in der Umgebung bearbeitet.
Der furchtbare Krieg sei in ihrer Erinnerung mit der Scheune von Fiquelmont unlösbar verknüpft. Sie beschrieben, wie sie von den kleinen Fenstern „Tag für Tag die Qualen der Schlachten“ sahen:„Wir sahen die Granaten in blutrotem Blitz drüben auf den Höhen bersten und beobachteten nachts mit dem vergeblichen Ringen um Verständnis des letzten Sinnes und mit dem müden Grauen den Reigen der Leuchtkugeln, die langen weißen Arme der Scheinwerfer, die gespenstig den Himmel durchfurchen. Und wir hofften auf Frieden im kleinen Sinne von Tag zu Tag. Und der Friede kam nicht! Wann wird er kommen?“ Am Schluss heißt es mahnend: „Ein rau gefährliches Handwerk ist der Krieg, und die Leiden, die die Bevölkerung des Okkupationsgebiets ertragen musste, sind groß, sehr groß, denn sie sind aus bitterem Hass geboren und von den Oberen, den Machthabern veranlasst. Wir Soldaten haben mit diesen Ansichten nichts gemein. Wir verabscheuen den Krieg und wünschen den Frieden. Was als Preis des wahnsinnigen Ringens unsern Enkeln Vermächtnis werden soll und in den Herzen dieser Welt geistert für und wider als Ahnung diesem, als Wirklichkeit dem anderen, als Glück und Unglück.(…) Utopie und mögliches Eden ist ein geeintes Europa Freundschaft zwischen den Völkern und Verwirklichung des Wortes, dass wir Brüder sind. Ein Gruß dem unbekannten Finder.“ (Es folgen die Namen der 6 Unterzeichner).
Historische Folgen des Ersten Weltkriegs
Die Ausführungen der Referenten machten deutlich, warum gerade der Erste Weltkrieg sich im kollektiven Unterbewussten Europas als ein verheerender, verlustreicher und blutiger Krieg eingebrannt hat. Alle 40 Sekunden gab es ein Todesopfer während des Bombardements und Verdun war eine einzige große „Massenschlacht“- von den Franzosen „la grande guerre“ genannt. Unter dem deutschen General von Falkenhayn nehmen damals 500.000 Soldaten an der Schlacht teil, 2,5 Millionen Artilleriegeschosse wurden abgefeuert. Im September 1916 endete die Schlacht von Verdun, 300.000 deutsche und französische Soldaten waren gefallen. Erst auf diesem Hintergrund gewinnt die Botschaft von Fiquelmont „Utopie und mögliches Eden.. für ein vereintes Europa, ein Vermächtnis an Europa“ an Gewicht.
Der Versailler Friedensvertrag hat „völkerrechtlich den Ersten Weltkrieg nicht beendet“, erklärte Prof. Stürmer zu Beginn seines Kurzreferats. Für ihn war der Friedensvertrag ein „Diktat“ und die Deutschen hätten ihre „Karten schlecht gespielt.“ Man müsse die historische Dimension des Ersten Weltkrieges und des Friedensvertrags auf dem Hintergrund des deutsch/französischen Kriegs (1870/71) verstehen. Für die Franzosen sei dieser Blitzkrieg ein Schock gewesen. Am 18. Januar 1871 fand die deutsche Reichsgründung, die Gründung eines Nationalstaats im Spiegelsaal von Versailles statt. Die Kohle- und Stahlregion Elsass- Lothringen wurde damals von Deutschland einverleibt. Die Deutschen, so Stürmer, wollten mehr Prestige. Otto von Bismarck, der 1890 zurücktrat, bezeichnete Stürmer als besonnenen Außenpolitiker, dessen außenpolitisches Dilemma darin bestand, dass er ein komplexes Allianzsystem baute und zugleich versuchte, einen Ausgleich der Kräfte zu schaffen.
Der Erste Weltkrieg als „die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ (George Kennan)
Der berühmte amerikanische Diplomat und Historiker George Kennan, mit dem Stürmer an der Universität Princeton zusammengearbeitet hat, habe darauf verwiesen, dass der Niedergang Bismarcks eine Folge der Allianz zwischen Frankreich und Russland gewesen sei. Für Kennan war der Ausbruch des Ersten Weltkriegs die „Urkatastrophe unseres Jahrhunderts.“ Ein Blick auf das Osmanische Reich damals zeige, dass dieses Reich, welches unter Kemal Atatürk als Republik neu begründet wurde, zerstückelt wurde. Im Osten Europas wiederum fand 1917/18 die bolschewistische Revolution statt.
Den deutsche Kaiser Wilhelm II charakterisierte Stürmer als einen Menschen, der damals von einem Weltreich mit Kolonien, Wissenschaft und Technik geträumt habe, das in ganz Europa die Nr. 1 werden sollte. Die Deutschen hätten sich damals umzingelt gefühlt und Europa saß auf einem „Pulverfass.“ Als am 28. Juni 1914 der österreichische Thronfolger Erzherzog Ferdinand in Sarajewo ermordet wird, bricht in Folge der Krieg zwischen Serbien und Österreich / Ungarn aus. Russland stellt sich damals als Schutzmacht auf die Seite Serbiens und erklärt am 1. August 1914 Wien den Krieg. Am 6. August wendet sich der deutsche Kaiser an das deutsche Volk. Er spricht von Demütigungen und Erniedrigungen und erklärt, dass jetzt das Schwert entscheiden müsse. Jedes Schwanken, jedes Zögern wäre Verrat am Vaterland. Was damals in ganz Europa fehlte, ist „Vertrauen“, so Stürmer.
Laut Stürmer hat der Versailler Friedensvertrag nicht vermocht, ein Mächtegleichgewicht im Sinne der „Wiener Friedensordnung“ vom Beginn des 19. Jahrhunderts zu schaffen. „Was damals fehlte, war die diplomatische Kraft.“ Während der Wiener Vertrag (1815) ein Gleichgewicht der Kräfte schaffen wollte nach dem Motto, nie wieder Krieg und Revolution, so „hätte man in Versailles die Unabhängigkeit von Staatsmännern gebraucht und eine intelligente Politik auf deutscher Seite.“ Der Friede von 1945 brachte Deutschland den Frieden. Kanzler Adenauer, der stets viel Wissen aus seiner Lektüre der Neuen Zürcher Zeitung zog, habe damals den Weltgegensatz zwischen Sowjetunion und USA begriffen: „Er hat deutsche Interessen in die Weltpolitik eingeführt und für eine auf Einheit und Freiheit basierende Weltbefriedung gesorgt.“ Es gebe zwei Modelle: Die Wiener Friedensordnung und die „Pax Americana“, welche akut bedroht sei.
Prof. Ménudier hob in seinem Impulsvortrag hervor, dass Versailles bewusst als „Kulisse“ gewählt wurde. Die Franzosen hätten die Macht des Landes und seine Kultur zeigen wollte. Deswegen das „Diktat“, das trotz Härte gescheitert sei. Er erinnerte an die Tatsache, dass es zwischen 1870 und 1945 drei deutsch- französische Kriege gegeben habe (in einem Zeitraum von 75 Jahren!). Am 9. Mai 1950 gab es dann eine Sternstunde mit Robert Schuman und die von ihm vorgeschlagene europäische Einigung von Kohle und Stahl( EGKS), die von Konrad Adenauer unterstützt, die Grundlagen für die deutsch- französische Aussöhnung als wichtigste Achse für die Stabilität in einem geeinten Europa schuf. Seitdem gebe es Frieden.
Der Erste Weltkrieg habe immense Verluste an Menschenleben- etwa 17 Millionen Soldaten und Zivilisten waren umgekommen- unmittelbar gefordert und „hinterließ Witwen und Waisenkinder und eine immense materielle Verwüstung.“ Zwischen 1918 und 1923 seien 11 neue Staaten entstanden; viele neue Grenzen wurden zum Teil willkürlich gezogen, gefolgt von Minderheitenproblemen an vielen Orten. Frankreich, so Ménudier, wollte Deutschland „zerstückeln“ und Reparationen erhalten. Wilson wollte einen gerechten Frieden, die Selbstbestimmung der Völker, mit weitreichenden Folgen für die Kolonialreiche, was damals von Frankreich und Großbritannien abgelehnt worden sei. Deutschland wurde zur Zahlung von 132 Milliarden Goldmark als Reparationen verpflichtet. Der 1925 geschlossene Locarno -Vertrag zwischen Aristide Briand und Gustav Stresemann sei der Versuch gewesen, aus der politischen Isolierung herauszufinden und Wege der Wiederannäherung zu finden. Wenngleich seit Versailles bis auf den heutigen Tag viele Probleme weiter bestehen ,,hatten wir in der EU das große Glück, dass Europa zusammengebunden wurde durch Schuman und Adenauer.“
Gemeinsame Erinnerungskultur
Die Direktorin der Kriegsgefangenen Gedenkstätte Dr. Juliette Roy schilderte während der Podiumsdiskussion ihre Arbeit vor allem mit jungen Menschen, mit dem Ziel, eine gemeinsame deutsch- französische Erinnerungskultur zu schaffen. Beide Nationen hätten Zeit gebraucht, um ihre Geschichte auch als „Katharsis“ zu schreiben. Dabei seien das „Weitergeben“ und die „Erinnerung“ ein Grundpfeiler bei der Schaffung einer gemeinsamen „Erinnerungskultur.“ Viele erfolgreiche Begegnungen mit Schülern und Studenten beider Länder seien erfolgt, wie auch Richard Stock vom Robert Schuman Zentrum darlegte und man habe versucht, den Jugendlichen eine moralische Orientierung zu geben. So waren bei der 100 Jahrfeier in Verdun im Mai 2016 4000 Jugendliche aus Frankreich und Deutschland versammelt und heute sei Verdun d e r europäische Ort der Erinnerung. Stock betonte, dass immer noch jedes der vom Ersten Weltkrieg betroffenen Länder und Regionen ein eigenes „Narrativ“ für sich beanspruchte und wie seine Vorredner stellte auch er klar, dass es sich bei dem Versailler Friedensvertrag weniger um einen Vertrag, als um ein „Diktat“ gehandelt habe. Darüber seien sich „die Historiker der Gegenwart einig“.
Die Autorin des Artikels stellte während der Plenumsdiskussion die Frage, wie es auf dem Hintergrund dieser 100jährigen Geschichte weitergehen solle und was vom Macron Interview im Schweizer RTS (11. Juni) zu halten sei, in dem der französische Präsident Macron gefordert hatte, den strategischen Dialog mit Russland zu suchen, das geschichtlich Teil Europas und seiner Erinnerungskultur sei. Stürmer verwies in seiner Replik auf die vor unseren Augen „zerbröselnde Pax Americana.“ Die Amerikaner führten einen imperialen Kampf gegen China und – anders als Berlin- ahne Präsident Macron, dass wir in Europa mit Russland, als einem Teil Europas und dessen Geschichte, ein strategisch neues Verhältnis aufbauen müssten. Wenn Europa ein Gleichgewicht finden wolle, müsse es das tun.“ Ich plädiere für eine realistische Ostpolitik.“ Er verwies zugleich auf die „gefährliche Waffenentwicklung“. Amerika stelle kein stabiles Gleichgewicht her. „Wir haben keine fähigen Diplomaten und wir leben in einer zunehmend gefährlicher werdenden Welt“ und er verband dies mit einer Kritik an der – aus seiner Sicht- sehr „verhaltenen“ Sicherheitspolitik Europas. Professor Ménudier monierte, dass der französische Präsident Macron sehr wenig Unterstützung für seine vielfältigen Vorschläge erhalten habe und er wünsche sehr, dass die Gedanken von Emmanuel Macron ernst genommen werden. Die Bundeskanzlerin beschrieb er mehr als „Verwalterin“ denn als „Gestalterin“ der Zukunft Europas, während Macron mehr Führung für Europa gezeigt habe.
Die Diskussion mit dem Plenum machte deutlich, dass bei der Frage nach dem Vermächtnis des Versailler Friedensvertrags heute und angesichts der Auflösung der „Pax Americana“ als Garant einer stabilen globalen Ordnung, es dringend nötig ist, eine neue Ordnung auf der Grundlage einer gut funktionierenden deutsch- französische Zusammenarbeit zu schaffen.
Dazu gehört auch die Notwendigkeit eines Neuansatzes im strategischen Dialog mit Russland, das bei der Suche nach Friedenslösungen im Nahen Osten und anderen Konfliktzonen der Welt in der Zukunft eine unverzichtbare Rolle spielt.
Die Friedensbotschaft von Fiquelmont müsse in die kommenden Generation hineingetragen und dort bewahrt werden, so das Fazit der Veranstaltung der Konrad Adenauer –Stiftung und gemäß dem Vorsitzenden der KAS Mainz, Philipp Lerch: “Wir müssen zwischen Menschen aller europäischen Länder immer wieder neue Begegnungen ermöglichen- auch auf den ehemaligen Schlachtfeldern, im stillen Gedenken und in der couragierten Absicht, den europäischen Frieden zu bewahren und die Europäische Union zu festigen.“
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